Die Automobilindustrie ist im Wandel und somit auch die Anforderungen an ihre Arbeitnehmer. Um diesen Wandel mitzugehen, wird viel Anpassungsfähigkeit bei allen Akteuren gefragt sein. Insbesondere den Arbeitnehmern in der Produktion wird hierbei viel abverlangt. Aber im Gegenzug werden nur wenig Weiterbildungsmöglichkeiten geboten, um diese Herausforderung zu meistern. Wir fordern jetzt sofort die Einrichtung umfassender Weiterbildungsmaßnahmen, insbesondere für die Beschäftigten in der Produktion.
Laut einer Studie der Strategieberatungsfirma Oliver Wyman wird jeder 2. Arbeitsplatz durch Digitalisierung in der Automobilindustrie entweder von Arbeitsplatzabbau bedroht sein oder es wird eine Weiterbildung zur Ausführung dieser Tätigkeit von Nöten sein.
Zu einer ähnlichen Prognose kam einer Studie der MHP, ein Tochterunternehmen der Porsche AG (MHP 2017). Demnach führen rund 46% der Mitarbeiter in der Automobilindustrie aktuell eine Tätigkeit aus, die bis 2030 vollautomatisiert sein wird. Diese Studie untersuchte inwiefern bestimmte Berufsfelder von einer sogenannten Automatisierungsrate bedroht sind und welche Weiterbildungsqualifikationen gefragt sind, um das jeweilige Berufsbild weiterhin für den Arbeitgeber attraktiv zu halten. Auf Basis dieser Studie werden im Folgenden verschiedene Berufsbilder im Zusammenhang mit ihrer Automatisierungsrate beschrieben:
Laut dieser Studie ist der Beruf Monteur von einer 86 %- Automatisierungsrate gefährdet. Der Grund dafür ist der Einsatz von höher entwickelten Robotern sowie Technologien aus dem Bereich der Digitalisierung, um die Produktionseffizienz zu steigern. Dazu würden unter anderem Transportroboter zählen, welche zur Unterstützung der Arbeit von Monteuren eingesetzt werden, indem sie die Fahrzeugteile bereitstellen die der Monteure anschließend einbaut. Ein weiteres Beispiel sind „[…] kontextsensitive Assistenzsysteme […]“. Diese Systeme (Stichwort Künstliche Intelligenz) entwickeln sich selbstständig weiter und optimieren Prozesse. Dahingehend wird den Monteuren dringend geraten, sich um Weiterbildung in IT und Technologie zu bemühen. Von besonderer Wichtigkeit ist hierbei Wissen rund um den Einsatz von Robotiksystemen.
KFZ-Mechaniker und Karosseriebauer sind von einer 65%-Automatisierungsrate betroffen. Ihnen wird vor allem geraten sich im Bereich Automobilelektronik weiterzubilden, da der Bereich rund um Car-Entertainment zunimmt.
Im Gegensatz ist der Beruf als Produkt- und Entwicklungsingenieur mit einer 3.4 %-Automatisierungsrate wenig gefährdet. Technologien aus dem Bereich Digitalisierung spielen in diesem Beruf eher eine unterstützende Rolle, wie zum Beispiel die „Augmented-Reality-Brillen“. Nichtdestotrotz werden die Anforderungen im Bereich IT gerade in diesem Berufsbild zunehmen und permanente Weiterbildung ist unerlässlich für einen fachgerechten Umgang mit intelligenten Systemen.
Die Automatisierungsrate des Arbeitsplatzes eines Fertigungsdisponent/ Fertigungsplaner liegt bei fast 35 %. Durch sogenannte EPR (enterprise resource planning) Softwareprogramme werden Ablaufe wie Materialflüsse aber auch Termine automatisch angepasst. Diese automatisierten Arbeitsabläufe werden „Prozess-/ Workflows“ genannt. Fertigungsdisponenten/ Fertigungsplaner sollten deshalb Weiterbildungen in Produktionstechnologien anstreben. Diejenigen in diesem Beruf, die über ein Fachabitur verfügen, sollten ein Studium in Digital Services und vor allem in EPR in Erwägung ziehen.
Besonders betroffen von einem 80%-Automatisierungsrisiko ist der Beruf des Ausbesseres und Ausschneiders. Alle für die Produktion wichtige Informationen werden automatisch eingespeichert und dementsprechend dann im Produktionsprozess verwendet. Durch ihre künstliche Intelligenz passen sich die Maschinen automatisch an die Produktion selbst bei Anomalien an. Auch Kundenaufträge werden automatisch an die Produktionsmaschinen weitergereicht. Dementsprechend bleibt als Tätigkeit für Ausbesserer und Ausschneider nur die Überwachung der Maschinen sowie die Ausführung von Korrekturen bzw. die Überprüfung übrig. Eine Ausnahme werden hierbei nur noch Sonderanfertigungen aus dem Premiumbereich sein, die auch in Zukunft von Hand ausgeführt werden müssen.
Die Automatisierungsrate im Arbeitsbereich des Lagerarbeiters und Materialbereitstellers liegt aufgrund neuer Digitalisierungstechnologien bei 56% vor allem im Bereich Robotiksystem. Dementsprechend sollten sich Lagerarbeiter im Bereich Warenwirtschaftssysteme und EPR weiterbilden.
Sehr stark von der Automatisierung betroffen sind die Arbeitsbereiche der technischen Sachbearbeiter mit einer Rate von 94 %. Ursachen für die hohe Automatisierungsrate ist die Einführung von EPR und Self-Service-Portale. Big Data treibt diese Entwicklung voran, da Arbeitsvorgänge wie die Prüfung von Rechnungen auf Grundlage großer Daten zeitnah per Algorithmen durchgeführt werden. Nur bei Anomalien greifen die Mitarbeiter noch ein. Mittlerweile sind allerdings die Softwareprogramme so weit entwickelt, dass diese auch den Ausfall von Maschinen ausgleichen können. In diesem Berufsfeld ist eine Weiterbildung unabdingbar. Gerade Kenntnisse in IT oder Fremdsprachen sind hierbei gefragt, um sich beispielsweise zu einem IT-Kaufmann oder einem internationalen Sachbearbeiter ausbilden zu lassen.
Am wenigsten bedroht ist das Berufsfeld des Projektleiters mit einer Rate von 1,4%. Dieses Berufsbild ist unter anderem geprägt von kreativen sowie sozialen Tätigkeiten. Diese können momentan noch nicht von Algorithmen übernommen werden.
Es lässt sich zusammenfassen, dass die Automobilindustrie im Wandel ist und damit sind es auch die Arbeitsplätze: Bestimmte Berufsbilder werden im Rahmen der Industrie 4.0 auslaufen, wobei die Premiumproduktion hierbei eine Ausnahme bildet. Gleichzeitig entstehen andere Berufe, wie zum Beispiel „Data Scientists“.
Es ist ersichtlich, dass die einflussnehmenden Akteure in der Automobilindustrie, Politik, und Verbände sich dieser Entwicklung bewusst sind aber bisher nur unzureichend darauf reagiert haben.
Deshalb fordern Wir folgendes:
Erstens in Zeiten, in denen sich die Industrie durch Digitalisierungstechnologien so schnell verändert, gilt es ein gesetzlich garantiertes Recht auf Weiterbildung einzuführen. Gerade für Arbeitnehmer aus dem Produktionsbereich in der Automobilindustrie ist das Angebot an Weiterbildung zu gering. Seitens der Arbeitgeber bzw. der Politik werden die Pläne für Ausbildungsberufe („apprenticeship“) an die aktuelle, technische Entwicklung angepasst. Aber Weiterbildungsmöglichkeiten für Arbeitnehmer aus der Produktion, die nicht zur Babyboomergeneration gehören aber schon länger ihre Ausbildung abgeschlossen haben, werden im Bereich Weiterbildung kaum berücksichtigt.
Zweitens fordern Wir das Angebot an Weiterbildungs-Kurse für Arbeitnehmer aus der Produktion massiv zu erweitern. Besonders Kurse im Bereich der Produktionssysteme, Warenwirtschaftssysteme oder Fahrzeugelektronik wären sinnvoll anzubieten. Zum Beispiel sollten Programmierungskurse für Nicht-Informatiker angeboten werden, um ein Grundverständnis für den Einsatz von Software in PKWs aufzubauen.
Drittens verlangen Wir das Angebot an Sprachförderung für Englischsprachige Fachausdrücke speziell für Arbeitnehmer aus der Produktion grundlegend auszubauen. Schließlich werden Begriffe von Smart factory, Predictive Maintenance zu Augmented Reality Dashbard im alltäglichen Gebrauch in allen Bereichen der Automobilindustrie verwendet.
Schließlich verlangen Wir das Freistellungs-Modell für Lehrer in Baden-Württemberg (§ 69 Landesbeamtengesetz (LBG)) auf die Automobilindustrie zu übertragen; Das heißt die bezahlte Freistellung zur Beruflichen Weiterqualifizierung. Beispielsweise könnte ein Vollzeitmodell angeboten werden, in dem der Beschäftigte drei Jahre lang 75% seines Gehaltes erhält, um sich daraufhin im 4. Jahr für die Ausbildung zum Meister oder Techniker bezahlt freistellen zu lassen und ebenfalls 75% des Gehalts zu beziehen. Dabei sollten die Krankenversicherung und Beihilfe während der gesamten Zeit unberührt bleiben.
Die Welt der Automobilindustrie wird sich in den nächsten zehn Jahren in einer bisher ungekannten Geschwindigkeit verändern. Die Ängste der gesamten Arbeitnehmerschaft können ein Stück weit aufgefangen werden, indem auf vielfältige Art und Weise Möglichkeiten zur Weiterbildung ausgetestet werden. Hierbei kann die Digitalisierung eine erhebliche Rolle spielen.
Anmerkung:
Um die Lesbarkeit zu erhöhen wird auf die Verwendung der Sprachformen männlich, weiblich und divers (m/w/d) verzichtet. In diesem Sinne gelten sämtliche Personenbezeichnungen gleichermaßen für alle Geschlechter.
Quellen:
Wyman, Oliver (2018): Presseinformation. Mitarbeiter der Zukunft: Die Automobilindustrie muss handeln. https://www.oliverwyman.de/content/dam/oliver-wyman/v2-de/media/2018/Pressemitteilungen/Kompetenzwandel-in-der-Automobilindustrie_PM_OliverWyman.pdf (Abgerufen: 01.03.20)
MHP (Management- und IT-Beratung GmbH) (2017): Robots wanted: Der Einfluss der Digitalisierung auf die Workforce in der Automobilindustrie. https://www.mhp.com/fileadmin/www.mhp.com/assets/downloads/studien/MHPStudie_Workforce_Digitalisierung.pdf (Abgerufen 02.03.20).
BLV-BW (Verband der Lehrerinnen und Lehrer an beruflichen Schulen in Baden-Württemberg e.V.) (2012): SPEZIAL Freistellungsjahr („Sabbatjahr“) Freistellung vom Dienst von längerer Dauer nach § 69 Landesbeamtengesetz (LBG). https://blv-bw.de/wp-content/uploads/2019/10/BLV_Spezial_01-2011Sabbatjahr.pdf (Abgerufen: 07.03.20).
Baden-Württemberg. Landesrecht BW Bürgerservice Landesbeamtengesetz (LBG)
(2010): §69 Teilzeitbeschäftigung. http://www.landesrecht-bw.de/jportal/?quelle=jlink&query=BG+BW+%C2%A7+69&psml=bsbawueprod.psml&max=true#:~:text=(1a)%20Beamtinnen%20und%20Beamten%20auf,1.&text=(3)%20W%C3%A4hrend%20der%20Elternzeit%20(,im%20Interesse%20des%20Dienstherrn%20liegt. (Abgerufen am: 07.03.20).
Sage Advice (O.A.): Beschreibung im Lexikon. Enterprise Resource Planning. Wo findet Enterprise Resource Planning Anwendung? https://www.sage.com/de-de/blog/lexikon/enterprise-resource-planning/ (Abgerufen 07.03.20).